Tabu

Ist es vorstellbar, dass im 21. Jahrhundert eine Krankheit mit geschätzt 350 Millionen Betroffenen ein T. darstellen könnte? Ja und nein: Viele Menschen trauen sich weiterhin nicht, offen mit ihrer Erkrankung umzugehen, sie befürchten Stigmatisierung, Nachteile im privaten, vor allem aber wohl im beruflichen Umfeld.

Dass es auch anders geht, haben jetzt Kurt Krömer und Torsten Sträter bewiesen: Nur ein wenig Vorgeplänkel hat es gebraucht, bis sie in »Chez Krömer« vom 22. März 2021 auf die Gemeinsamkeit Depressionserfahrung kommen. Ich kann der Versuchung nicht wiederstehen, mehr als einen der vielen berührend wahrhaftigen Sätze zu zitieren, mit denen die beiden öffentlich den T.-Geist der Depression austreiben.

»Wieso hast du Schiss, darüber [über seine Depression] zu sprechen?«, fragt Sträter bei Krömer nach, um kurz darauf hinterherzuschieben: »Du bist jetzt ein Hoffnungsträger für alle anderen. Wir sind jetzt schon zwei« – zwei, die das T. brechen.

Angst habe er gehabt, als er für acht Wochen mit schweren Depressionen in eine Klinik gegangen sei, Angst, dass danach seine »Vollmeise« weg sei, jene, die ihn als Comedian ausmache, die er für seine Arbeit brauche. Ich schließe mich Sträter an, der ihn beruhigt: Klinik macht keinen anderen Menschen aus uns, jede Vollmeise darf bleiben, wenn die Depression geht (oder wir sie zumindest über Armeslänge auf Distanz halten).

Ja, wenn es ganz schlimm war, wusste auch ich wie Krömer vor lauter Überforderung beinahe nicht mehr, wie einkaufen geht – und die Scham darüber ist bisweilen sehr groß. Aber wenn wir dann »die Sau aus dem Haus gejagt [haben und] die Depression jetzt wieder bei meiner Mutter wohnt« (Krömer über Krömer), dann können wir mit der Zeit lernen, dass auch ein beschissener, deprimierender, trauriger Tag einfach nur eben das sein kann: ein mieser Tag, nicht die Rückkehr der Sau, die sie Depression nannten.